Was ist wahr?

Mit dem am 13./14. April 2019 erschienenen Artikel „Der Guru“ in der Süddeutschen Zeitung stellt sich sehr deutlich die Frage, was eigentlich Wahrheit ist.

Der Pressekodex verpflichtet Journalisten zur Wahrheit. Sie müssen gemäß ihrer Sorgfaltspflicht überprüfen, ob eine Information, die sie erhalten, tatsächlich auch der Wahrheit entspricht.1 Selbst wenn es nicht immer möglich ist, auf ein wirklich eindeutiges Ergebnis zu kommen, so müssen sie alle verfügbaren Quellen hierzu hinzuziehen und ausgewogen darüber berichten. Bei einer Verdachtsberichterstattung über eine Straftat dürfen sie nicht selektiv berichten, sondern müssen immer auch entlastende Fakten nennen.2 Dass diese Grundbedingungen in dem obengenannten Artikel nicht gewahrt sind, lässt sich für den aufmerksamen Leser unschwer erkennen.

Die Rechtsprechung geht von einem pragmatischen Wahrheitsbegriff aus: Wahrheit ist die Übereinstimmung eines behaupteten Sachverhaltes mit der Wirklichkeit. Wahrheit lässt sich auf einfache Weise so beschreiben, dass es sich um Tatsachen handelt und dass keine wesentlichen Tatsachen weggelassen werden, so dass ein wahrheitsgemäßes Bild entsteht. Dies ist u.a. in der Zivilprozessordnung § 138 Abs. 1 auf diese Weise gesetzlich geregelt.

Marianne B. nimmt hingegen meine Darstellung auf dieser Internetseite und dreht in ihrer Darstellung im Internet alles einmal um. Heraus kommt eine „Wahrheit“, die jeglicher Faktenlage widerspricht. Es ist die „Wahrheit“, wie sie von der Ärztin Christine B. postuliert wurde: die Verfolgung ihrer Person durch eine kriminelle Sekte bis zum Tod. Marianne B. wendet als deren Nachfolgerin eines der Grundprinzipien von Christine B. an: Wahr ist etwas, weil Christine B. es sagt. Es ist nicht wahr, weil es sich um Tatsachen handelt, sondern weil Christine B. es sagt. Es ist sogar wahr, wenn es den Tatsachen direkt widerspricht, weil es Christine B. sagt. Christine B. sah sich als Alleinvertreterin der Wahrheit.

Dies wird an folgendem Vorgehen deutlich (und es handelt sich hier nur um ein Beispiel aus Unzähligen, die ebenso offensichtlich sind!): Christine B. reichte bei Gericht ein Schreiben von Heinz Grill als Beweis ein, das sie als den Beginn der von ihr postulierten Hetzjagd und Verfolgung ihrer Person mit Klagen durch die „Sekte“ bezeichnete. Es ist nun so, dass in dem Schreiben ihr Name nicht vorkommt, das Schreiben bezieht sich in keiner Weise auf sie. Es wird in dem Schreiben auch nicht zu einer Hetzjagd, Verfolgung oder zur irgendwelchen anderen Maßnahmen in dieser Richtung aufgerufen. Es geht lediglich um die notwendige Verantwortungsübernahme auf einem geistigen Schulungsweg. Ihre Behauptung ist nicht wahr, weil es hierfür vorliegende Tatsachen gibt. Ihre Behauptung ist wahr, weil Christine B. es sagt und wenn sie es so sagt, dann ist das so, auch wenn alle Tatsachen dagegen sprechen. Dieses Schreiben, das völlig offensichtlich in keinerlei Zusammenhang mit ihren ehemaligen Patienten und Yogaschülern steht, reichte sie wider besseres Wissen und trotz Richtigstellung durch die Betroffenen immer wieder bei weiteren Gerichtsprozessen, die ihre ehemaligen Patienten und Yogaschüler wegen verschiedener Arztrechtsverletzungen u.a. gegen sie führten, ein, um diese aufgrund dieses „Beweises“ als von Heinz Grill gegen sie aufgehetzte Sektenmitglieder zu diffamieren.

Die Parallele zur Katholischen Kirche ist deutlich: diese postuliert in Bezug auf Glaubensfragen ebenfalls einen Alleinanspruch auf Wahrheit. Das, was der Papst als wahr und richtig bewertet, ist unfehlbar und wird zum Dogma erhoben, und der Gläubige hat dies zu glauben. Schon nur der Zweifel daran zieht die Exkommunikation nach sich.3 Es werden hier die Kriterien für Wahrheit ausgetauscht: Wahrheit wird nicht nach den vorliegenden Tatsachen bestimmt, sondern allein nach demjenigen, der die Macht hat, und wie es diesem genehm ist. Diese Macht wird unter Berufung auf eine göttliche, d.h. über allen Menschen stehende Instanz, legitimiert. Auch bei den beiden Journalisten, die den obengenannten SZ-Artikel verfassten, klingt in dem nachfolgenden Podcast4 eine ähnliche Haltung an: sie sehen bei sich die Deutungshoheit über die Wahrheit, indem sie sich über eine „Gegenöffentlichkeit“ beklagen, die ihrer Ansicht nach alles mögliche Unwahres behaupten könne, weil sie nicht überprüft werde. Damit suggerieren sie, dass gegenüber dem SZ-Artikel anderslautende Veröffentlichungen unwahr seien. In gleicher Weise liegt hier wieder das Verhältnis vor, dass die Zeitung durch eine große Zahl von Käufern und Abonnenten eine Machtposition inne hat und die sogenannte „Gegenöffentlichkeit“ mit dieser nicht aufwarten kann. Die Wahrheit bestimmt sich also nicht aufgrund von Tatsachen und sachlichen Bezügen, sondern die Wahrheit wird von dem bestimmt, der die Macht hat.

Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ärztin Christine B. – aufgrund ihrer ärztlichen Tätigkeit in bestem Wissen über deren eigenes Verfolgungsinteresse insbesondere gegen Heinz Grill – gerade zum Sektenreferenten und zum Sektenkommissar Harry B. ging und sich als Sektenopfer inszenierte. Konnte sie sich doch hier genau mit den Personen verbünden, die das gleiche Verständnis von Wahrheit in Verbindung mit Machtinteresse haben wie sie: wahr ist, was man nach eigenem Gutdünken zur Wahrheit erklärt. Tatsachen haben hier nichts zu sagen. Erschreckend ist umso mehr, dass Christine B. bis heute als höchst glaubwürdig gilt.

Interessant ist diesbezüglich auch der Artikel „Warum wir lernten, die Wahrheit zu ignorieren“ auf https://kenfm.de/warum-wir-lernten-die-wahrheit-zu-ignorieren/, der sich mit dem Phänomen der subjektiven Wahrheit und dem Ignorieren einer objektiven Wahrheit auseinandersetzt.


1Vgl. hierzu Ziffer 1 und 2 im Pressekodex unter https://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/#panel-ziffer_2____sorgfalt, Stand: 13.7.2019.

2Siehe hierzu die sehr informative Publikationsreihe „nr-Werkstatt“ des Vereins Netzwerk Recherche e.V. auf https://netzwerkrecherche.org/handwerk/nr-werkstatt/, insbesondere Ausgaben Nr. 1, 16 und 19, Stand 13.7.2019.

3Siehe hierzu: „Die kirchenamtliche, geistliche Unfehlbarkeit bezieht sich nur auf als letztgültig (unwiderruflich) proklamierte Lehrentscheidungen in Glaubens- oder Sittenfragen. Sie wurde mit der dogmatischen Konstitution Pastor Aeternus auf dem Ersten Vatikanischen Konzil am 18. Juli 1870 unter Papst Pius IX. selbst als (unfehlbarer) Glaubenssatz verkündet. Die Definition lautet: ‚Zur Ehre Gottes, unseres Heilandes, zur Erhöhung der katholischen Religion, zum Heil der christlichen Völker lehren und erklären wir endgültig als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, in treuem Anschluss an die vom Anfang des christlichen Glaubens her erhaltene Überlieferung, unter Zustimmung des heiligen Konzils: Wenn der Römische Papst in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, das heißt: wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des Römischen Papstes sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich. Wenn sich jemand — was Gott verhüte — herausnehmen sollte, dieser unserer endgültigen Entscheidung zu widersprechen, so sei er ausgeschlossen.‘“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Päpstliche_Unfehlbarkeit, Stand: 13.7.2019)

4Siehe unter: www.sueddeutsche.de/thema/Das_Thema unter dem Titel „Der Guru: ein Kriminalfall und dessen Recherche“, 31.5.2019.

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